2 Briefe an den Rauschzustand

Vor ein paar Jahren bekam ich im Rahmen meiner Therapie die Aufgabe zwei Briefe zu schreiben: einen an den geliebten Rauschzustand und einen an den gehassten. Kürzlich sind mir die beiden Briefe wieder in die Hände gekommen. Aber lest selbst…

Brief 1:

Geliebter Rauschzustand,
wir kennen uns schon sehr lange und noch nie haben wir uns offen unterhalten. Darüber, wie wir zueinander stehen, was unsere Freundschaft bedeutet, ob wir uns ergänzen und uns gegenseitig gut tun. In all den Jahren, ich denke es sind rund 30, hast du mir viel Schönes geschenkt. Du hast mir Angst genommen und Mut gemacht, mein Selbstbewusstsein gestärkt und mir zu vielen Abenteuern verholfen.
Am besten verstanden wir uns, wenn du mich auf nüchternen Magen besuchen kamst. Dieses unbeschreibliche Hochgefühl, dieses Gefühl des Glücks und der Stärke. Nie kam es stärker zum Ausdruck als bei diesen Gelegenheiten. Oftmals kamst du als Belohnung für Erreichtes, oft einfach ohne Grund, einfach so. Immer öfter einfach so.

Du wurdest ein treuer Begleiter, ohne den ich nichts mehr unternehmen wollte. Wir waren schließlich nur mehr gemeinsam unterwegs, hatten endlos Spass und fanden immer wieder Freunde mit gleichen Interessen. Ein Team wie Pech und Schwefel.

Du weißt, ich hatte auch schlimme Phasen, starr von Depression und Angst. Auch in diesen Zeiten warst du mir ein getreuer Freund und hast mir über viele dunkle Stunden hinweggeholfen.

So sitze ich nun und denke zurück. Und ich schaue nach vorne. Wie wird es mit uns weitergehen?

Brief 2:

Gehasster Rauschzustand,
wir kennen uns schon sehr lange und noch nie haben wir uns offen unterhalten. Darüber, wie wir zueinander stehen, was unsere Freundschaft bedeutet, ob wir uns ergänzen und uns gegenseitig gut tun.
In all den Jahren haben wir verdammt viel Scheisse erlebt. Du warst immer zu Stelle, wenn es in den Abgrund ging. Du warst mit dabei und ich mittendrin. Du hast mich unendlich viel gekostet: Freunde, Gesundheit, Gehirnzellen, Beziehungen, Ansehen und vor allem Geld. Sehr viel Geld. Zunächst um dich zu konsumieren und später – immer häufiger – um die verursachten Schäden zu begleichen. Die Schäden waren enorm. Ein paar Mal hättest du mich beinahe das Leben gekostet. Gut, dass das ausser uns beiden niemand weiß.

Verantwortung zu tragen ist schwer. Du hast mich dabei „unterstützt“. Unterstützt, diese verdammte Verantwortung zu oft einfach zu vergessen. Zu vergessen, dass ich Partner und Vater bin. Vater eines Sohnes, der nichts von der Scheisse, die wir beide erlebt haben, ahnt. Wie schlimm ist das eigentlich? Ich trage einen Teil in mir, von dem niemand etwas wissen darf. Wie Jekyll den Hyde, aber wann war ich Jekyll, wann war ich Hyde?
Wenn wir gemeinsam auftauchen, haben Menschen Angst vor uns und gehen uns aus dem Weg. War das dein Plan? Ist dein Plan, dass wir beide alleine enden?

So sitze ich nun und denke zurück. Und ich schaue nach vorne. Wie wird es mit uns weitergehen?


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Yesyesregina
Yesyesregina
7 Monate zuvor

Berührend. Stark.
Wünsche mir jetzt einen Brief an den trockenen Rauschzustand.


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Ich würde mich sehr über einen Kommentar freuen!x